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30.10.2024 - Finanzen (Börse, Aktien, Ratgeber, Künstliche Intelligenz, Finanzen, Bild)
Itzehoe (ots) -
Herr Paulsen, Künstliche Intelligenz ist das große Thema derzeit, auch an der Börse. Muss man da als Anleger nicht einsteigen?
Das ist die Gretchenfrage schlechthin, ob man nach diesen fulminanten Kursgewinnen noch einsteigen sollte oder nicht. Im unserem aktuellen Herbst-Seminar beleuchten wir beide Seiten einer Medaille. Auf der Pro-Seite kann man sagen, KI wird uns revolutionieren, und Unternehmen wie Google, Microsoft oder Nvidia verdienen zugleich Milliardengewinne. Das ist ganz anders als vor 25 Jahren am Neuen Markt, als alle gesagt haben, das Internet werde uns revolutionieren. Das ist auch passiert, das Internet hat überall Einzug gehalten. Nur die Konzerne, die damals ordentlich Geld verdienen wollten und sollten wie Mobilcom oder EM.TV, gibt es nicht mehr, sie sind pleite gegangen. Ein Technologiesprung ist nicht automatisch damit gleichzusetzen, dass die Unternehmen mitziehen.
Dieses Mal muss man aber auch konstatieren, dass Unternehmen wie Microsoft oder Apple mittlerweile einen Jahresgewinn von jeweils 100 Milliarden US-Dollar aufweisen. Da muss man natürlich hellhörig werden, zumal sich die Ökonomie zur Plattform-Ökonomie gewandelt hat. Je mehr Nutzer das Unternehmen hat, desto wertvoller wird es. Der Trend in der Digital-Ökonomie geht immer mehr zu "The winner takes it all". Die Unternehmen sind groß, enorm gewinn- und margenstark.
Aber, und das ist die Kehrseite der Medaille: Sie sind auch verdammt teuer. Allein die Kapitalisierung von Nvidia ist größer als der gesamte französische oder deutsche Aktienmarkt. Da kann man sich schon die Frage stellen: Ist das noch gerechtfertigt oder laufen Anleger da blindlings in eine Richtung? Das muss man sehr differenziert betrachten. Die Vergangenheit kann man nicht eins zu eins auf die Gegenwart projizieren, aber man kann seine Lehren ziehen aus unterschiedlichsten Trend- und Gier-Investments.
Aber sollte ein Anleger nicht mitlaufen, um nicht genervt beobachten zu müssen, wie andere mehr Gewinn machen als er selbst?
Es schmerzt, wenn man wie wir im IAC sehr breit streut und einige Bereiche, die sehr konjunktursensitiv sind wie z.B. die Chemieindustrie, im Moment links liegen gelassen werden, während nur die Digitalkonzerne laufen wie nichts Gutes. Dann würde man als Normalanleger vielleicht dazu neigen, jetzt alles auf die Karte KI zu setzen. Wir machen es nicht und werden weiterhin auf eine breite Streuung achten. Wir verabschieden uns aber auch nicht komplett von KI-Unternehmen, sondern sind sehr selektiv: Bei Microsoft oder Apple sehen wir durchaus Chancen, weil die noch in einem vernünftigen Maße bewertet sind. Bei anderen Unternehmen wie Nvidia
oder Tesla sind zu viele Zukunftsfantasien in den Kursen enthalten, da würden wir nicht unbedingt mitspielen.
Macht der konservative Anleger, der sich vom Thema KI fernhält, einen Fehler?
Der macht keinen Fehler, der sollte sich nur an den Ratschlag des verstorbenen Börsen-Altmeisters André Kostolany halten, nämlich eine Schlaftablette zu nehmen, dann nach längerer Zeit aufzuwachen und sich über die Gewinne im Depot zu freuen. Denn das wird zurückkommen. Machen wir uns bewusst: Digitalkonzerne bieten die KI-Dienstleistungen schließlich nicht zum Selbstzweck an. Sie wollen viele Milliarden investieren und werden das nur tun, wenn sie wissen, dass sie die Dienstleistungen auch verkaufen können an Unternehmen, die sich davon natürlich ebenfalls Erlössteigerungen erhoffen. Die KI wird also auch in der Industrie oder Logistik, also in der alten Industrie-Welt, zu Gewinnsteigerungen führen. Wenn das nicht der Fall ist, haben auch die KI-Unternehmen ihre Existenzberechtigung verloren, wenn sie nämlich Produkte herstellen, die von anderer Seite nicht nachgefragt werden. Also: Der Anleger macht definitiv nichts falsch, aber er muss Rückgrat und Ausdauer besitzen, um die Durstphase für traditionelle Value-Unternehmen zu überstehen. Diese Zeit könnte durchaus noch etwas dauern, könnte aber auch schon morgen zu Ende sein.
Also gilt wie immer an der Börse, langfristig zu denken?
Das ist so. Langfristig werden alle Produkte gebraucht, die die Grundbedürfnisse der Menschheit befriedigen. So werden auch weiterhin auf den ersten Blick langweilige Nahrungsmittel benötigt, aber auch Chemieprodukte oder Rohstoffe. Nehmen wir z.B. einen sehr klassischen Industriebereich, die Stromerzeugung. Wenn man sich vor Augen führt, was für einen Stromverbrauch KI-Unternehmen mittlerweile haben, dann erkennt man, dass auch dieser klassische Bereich sehr stark vom KI-Boom profitiert. KI-Unternehmen kaufen sich gerade in Amerika massiv in Kraftwerke ein. Für Serverfarmen oder Speicher werden zusätzlich Rohstoffe benötigt. Das zeigt, dass auch die traditionelle Industrie langfristig von der KI-Entwicklung profitiert.
Das ist eine gute Nachricht für diejenigen, die an der Börse als Investoren auftreten. Andere sind eher Spekulanten - welche Erfahrungen haben Sie damit im IAC?
Jeder wird von sich erst einmal behaupten, er sei kein Spekulant, sondern Investor. Aber wenn ich als vermeintlicher Investor von vielen Seiten angesprochen werde und sich mein Nachbar plötzlich ein schickes Auto kauft, weil er mit seinen KI-Aktien tolle Gewinne gemacht hat, nagt das natürlich an einem. Das ist menschlich. Wir sehen es auch bei jeder Entwicklung, die große Wellen schlägt, ob es der Neue Markt war oder Rohstoffaktien oder in jüngster Vergangenheit die Wasserstoff-
Aktien. Auch unsere Kunden haben verstärkt nachgefragt, warum wir nicht im Bereich Wasserstoff investiert sind. Wir haben geraten, sich anzuschauen, ob die Unternehmen wie nel, Plug Power oder Varta tatsächlich Gewinne machen oder ständig Verluste ausweisen. Ein Geschäftsmodell ist schließlich nicht gerade mit einem soliden Fundament ausgestattet, wenn die Umsätze steigen, aber gleichzeitig auch die Verluste. Wir haben die Finger davon gelassen, zum Glück. Seit dem Hoch sind diese Aktien um 90 Prozent nach unten kollabiert, Varta steht vor der Insolvenz. Sicherlich gibt es unter unseren IAC-Kunden den einen oder anderen, der spekulative Züge hat. Wer sich aber eher entspannt zurücklehnt und vom Rauschen der Börsenmedien abschottet, steht im Lager der Investoren stärker da.
Wenn es darum geht, Risiko zu streuen, setzen viele auf ETFs. Was halten Sie davon?
Auch da muss man genauer hinschauen. Ich würde die ETFs nicht per se verteufeln, aber auch nicht in den Himmel loben. Sie sind eine Erweiterung des Anlagespektrums, die für einige Anleger durchaus geeignet ist. Man muss nur wissen, dass ein ETF häufig einen Index wie den DAX einfach nur abbildet. Wenn es aber Verwerfungen gibt, dass zum Beispiel eine Branche wie die KI besonders stark steigt, erhöht sich deren Gewicht in den jeweiligen Indizes. Im Weltaktien-Index MSCI World investiert der deutsche ETF-Anleger aktuell 72 Prozent in den USA, weil sie in den vergangenen Jahren sehr dominant waren, einen großen Teil davon in Tech-Konzerne wie KI. Das kann aus unserer Sicht nicht richtig sein.
Der Kunde geht mit der Erwartung hinein, die Welt abzudecken, aber die Wirtschaftskräfte auf der Welt sehen komplett anders aus, als sie im Moment an den Börsen widergespiegelt werden. Deshalb ist auch dort Vorsicht angebracht, um nicht Schiffbruch zu erleiden. Es geht immer wieder darum, auf breite Streuung zu achten, auf Qualität zu setzen und sich von Modetrends fernzuhalten. Da muss man Charakterstärke haben: Lass den an der Börse zockenden Nachbarn ruhig den zweiten Ferrari kaufen, drei Jahre später ist es vielleicht ein Fiat 500 oder er fährt Fahrrad. Immer das richtige Timing für den richtigen Trend zu finden, wird keiner schaffen.
Quelle: www.presseportal.de
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